
Eine Sprache finden, die alle verstehen
Die Pfingsterzählung in der Apostelgeschichte (Apg 2,1-13) beschreibt eine erstaunliche Verwandlung. Da werden auf einmal aus ängstlichen und verschreckten Männern und Frauen mutige und starke Zeugen. Auf einmal sprechen sie die Sprache der Völker, auf einmal finden sie Worte, die von den Menschen verstanden werden. Sie können so reden, dass die anderen sie verstehen, auch die Fremden und Andersgläubigen. In diesen 50 Tagen ist den Aposteln die Kraft zum Glauben zugewachsen und die Kraft zum Handeln.
Das Wunder des Verstehens und der Verständigung
Was für eine wunderbare Vision für uns als Christen, als Kirche! Dass wir eine Sprache finden, die alle verstehen. Eine Sprache, die sicher nicht nur aus Worten besteht, nein, vielmehr eine Sprache als gelebte Wirklichkeit, im Tun, in den Begegnungen. Vielleicht braucht es hin und wieder auch einen solchen Sturm, der aufrüttelt, vielleicht erschüttert, damit sich das Wunder der Verständigung ereignet. Gerade auch in unserer Zeit, in der angesichts so vieler Problemlagen und Krisen die gesellschaftlichen Kräfte wieder mehr auseinander zu driften scheinen und Polarisierungen zunehmen, braucht es die Fähigkeit und Bereitschaft zur Verständigung ganz dringend.
Diese Wirkung, diese Bewegung des Geistes wird uns auch beschrieben in den Bildern von Luft, Atem, Wind. Das kann durchaus auch in einem übertragenen Sinn verstanden werden: Der Heilige Geist gibt Luft zum Leben, schenkt uns den Lebensatem, lässt uns aufatmen, schafft und erweckt Leben. Das ursprüngliche hebräische Wort ist „die RUACH“ und bezeichnet die weibliche Kraft Gottes, das Offensein für das Leben.
Der Heilige Geist als das weibliche Prinzip in Gott
Der Heilige Geist steht besonders für das Lebensschaffende, das Mütterliche und Bergende, denn das hebräischen „ruach“ ist von der Grammatik her weiblich. Wir müssten also, wenn wir uns an die Bibel halten, eigentlich von der Heiligen Geistin sprechen. Ich glaube, dass es gut ist das zu wissen, weil ja unser Bild von Gott traditionell doch sehr geprägt ist von männlichen, patriarchalischen Zügen, manchmal auch sehr strengen, fordernden oder gar überfordernden.
Umso wichtiger ist die Ergänzung durch andere Aspekte im Gottesbild, auf die wir in der gesamten Bibel immer wieder treffen: das Weiche, Gütige, Liebevolle und Zärtliche in Gott. Der christliche Gott ist ein Gott, der empfangen, bergen, erleiden, mitfühlen kann. Für diese Eigenschaften in Gott steht besonders die Heilige Geistin. In Jesus schließlich, in seinem Sein und Wirken, begegnet uns ein Mann, der die männlichen und weiblichen Eigenschaften Gottes wunderbar in sich vereint und integriert hat.
Ganzheitlicher und authentischer Ausdruck im Reden und Tun
Zu Pfingsten geht es offenbar um eine besondere Art der Wahrnehmung, nicht um eine äußerliche Wahrnehmung, sondern wohl noch vielmehr um eine innere Wahrnehmung. Eine Wahrnehmung, die nicht an der Oberfläche stehen bleibt, sondern dahinter blickt. Es geht um ein ganzheitliches Wahrnehmen mit Kopf, Herz und Bauch. Eine Erfahrung, ein Spüren, von dem wir als ganze Menschen erfasst und betroffen sind.
Ich denke, da sind Momente in unserem Leben angesprochen, die sich unserer Kontrolle und unserem Machen entziehen. Sie fallen uns zu und werden uns geschenkt. Vielleicht ist das ein wenig vergleichbar damit, wenn sich ein Paar findet und sich ineinander verliebt. Oder wenn ich mich beim Sport oder beim Bergsteigen auf einmal ganz eins fühle mit der Natur. Oder wenn ich beim Hören einer schönen Musik oder beim Betrachten eines Kunstwerks ganz hineingezogen werde in eine Welt, die über meinen Alltag hinausweist und wo die Größe und Tiefe des Lebens aufleuchtet und mich in den Bann zieht.
Da betrachte ich die Welt wieder mit ganz anderen Augen. Und auch wenn sich dann üblicherweise recht bald wieder der Alltag und die Normalität einstellen, so können wir doch oft sehr lange von diesen Momenten oder Erfahrungen zehren.
Ich glaube, dass es auch in Bezug auf unseren Glauben solche Momente und Erfahrungen gibt, wo wir auf das treffen, was „dahinter“ liegt, was uns trägt und hält, was uns leben lässt und was uns lebendig macht. Wo wir tief im Inneren berührt sind. Diese Momente sind wie Geschenke, die uns auch über so manche Widrigkeiten, Durststrecken und Brüche unseres Lebens hinweghelfen können.
Pfingsterfahrungen sind keine abgehobenen Erfahrungen in einer religiösen Sonderwelt, sondern Pfingsten ereignet sich auch mitten in unserem ganz normalen Leben. Auch dann, wenn man es gar nicht zu hoffen wagt. „Pfingstliche“ Erfahrungen führen zu einer Veränderung: zu einem neuen Aufbruch, zu neuer Hoffnung, zu einem Reden und Tun, das verstanden wird und bei den Mitmenschen auch wirklich „ankommt“.
Die Sprache der Bedürfnisse und Gefühle (immer wieder neu) lernen
Gerade uns Männern können diese Dimensionen des Pfingstfestes auch heilsame Impulse für unser alltägliches Leben geben. Ich sehe in diesem Fest die Einladung zum authentischen und ganzheitlichen Mannsein.
Das beinhaltet zuerst einmal, einen guten Zugang zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen zu entdecken und diese wahrzunehmen. In einem zweiten Schritt geht es darum, uns in unseren Bedürfnissen und Gefühlen auszudrücken und eine Sprache dafür zu finden. Eine besondere Herausforderung sind vermutlich die sogenannten „schwierigen“ Gefühle wie Angst, Trauer, Schuldgefühle, Ärger, Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit.
Gefühle sind grundsätzlich nicht positiv oder negativ, sie sind vielmehr Signale und geben uns Impulse für unser Handeln. Entscheidend ist, ob wir ihnen Bedeutung geben und wie wir mit ihnen umgehen. „Gefühle bringen das Ich zum Tun und das Selbst zum Wachsen“ – dieser Satz bringt sehr eindringlich zum Ausdruck, welcher Schatz für unser Leben darin liegt, unsere Bedürfnisse und unsere Gefühle als wichtigen Teil unseres Mannseins in unser Leben und in unseren Alltag zu integrieren. Dann ereignet sich Pfingsten.
Wolfgang Bögl, Mai 2016
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