Impulse zum Karfreitag
Was ist das für ein Mensch?
Da ist ein Mensch, der sich als Gesandter und Sprecher Gottes versteht, als Sohn Gottes. Dieser Mensch ist Jesus.
... ein Mensch, der die Menschen so sehr liebt, dass er nichts Anderes will als eine neue Gemeinschaft zu vermitteln, ein Brückenbauer, der Trennung überwindet und Begegnung ermöglicht. Dieser Mensch ist Jesus.
... ein Mensch, der seine Mitmenschen herausruft aus einem Leben, in dem kein Raum ist für Freiheit und Freude am Menschsein, und der ihnen einen neuen Zugang, eine neue Beziehung zu den Mitmenschen und zu Gott vermittelt. Dieser Mensch ist Jesus.
... ein Mensch, der, wo er auch hinkommt, eine Spur der Hoffnung hinterlässt, weil er einen Gott verkündet, der die Menschen bedingungslos liebt. Dieser Mensch ist Jesus.
… aber auch ein Mensch, der an die Grenzen des Menschseins stößt, auch auf das radikale Gefühl der Einsamkeit und Gottverlassenheit.
Kann nun dieser Mensch, kann Jesus sich am Kreuz der Nähe und Hilfe Gottes nicht sicher sein? Scheitert er und scheitert sein Programm der Liebe am Kreuz?
Siegen die dunklen Mächte und Kräfte?
Muss letztlich ein Weg von Liebe und Gewaltfreiheit immer in Gewalt und Tod enden?
Innehalten:
Welche Fragen, welche Gefühle, welche Stimmungen stellen sich bei mir ein angesichts dieses grausamen Todes Jesu am Kreuz? Was lässt mich zweifeln im Glauben an das Gute in der Welt und im Menschen?
Sprachlos und ohnmächtig
Auch keiner von denen, die von Jesus gelernt haben, dem Leben zu trauen, kann ihm in diesem Moment beistehen. Stumm halten sie alle sich in sicherer Entfernung und warten auf seinen letzten Atemzug.
Was da passiert am Karfreitag, erzeugt eine große Betroffenheit, es lässt uns sprachlos und ohnmächtig werden. Es fährt uns durch Mark und Bein, wenn wir Jesus seine tiefste Not hinausschreien hören.
Innehalten:
Wann fehlen mir die Worte? Wie geht es mir, wenn mir die Worte fehlen?
Kann ich meine Traurigkeit zeigen oder versuche ich, meine Tränen zu verbergen oder zu unterdrücken?
Aber selbst am Kreuz, in aller äußeren Ohnmacht, bleibt Jesus in seiner Lebensgeste der Umarmung. Und er kann sich letztlich fallen lassen in Gottes Hand.
Der Sinn und die Bedeutung dieses grausamen Todes Jesu wird erst im Licht von Ostern erschließbar. Dieses Licht von Ostern müssen wir auch an diesem Tag mitdenken, sonst gäbe es keinen Grund für unsere Hoffnung.
Der Karfreitag unseres Lebens
Bis es aber Ostern wird, müssen wir den Karfreitag aushalten und bestehen. Und es gibt ihn auch in unserem Leben, in unserer Welt, diesen Karfreitag: Zeiten und Geschehnisse, die einen glauben machen, ganz und gar von Gott verlassen zu sein. Wenn wir das Leiden Jesu betrachten, betrachten wir immer auch Situationen oder Prozesse unseres eigenen menschlichen Lebens und Leidens. Es erinnert uns an das, was wir verloren haben, an das, was wir versäumt haben, an das, was unerfüllt ist.
Innehalten:
Wie gehe ich mit den schwierigen Gefühlen um, die oftmals mit Erfahrungen von Scheitern oder Misslingen verbunden sind: Scham, Traurigkeit, Einsamkeit, Ohnmacht?
Dass Jesus dem Leiden nicht ausgewichen ist und selbst den Tod am Kreuz durchlitten hat, will uns wohl verdeutlichen, dass es kein menschliches Leid gibt in unserer Welt, an dem Gott nicht teilnimmt. Der Karfreitag erzählt in der Geschichte Jesu, des Gottessohnes, von einem Gott, der unser Leiden, unsere Angst, unsere Einsamkeit, unsere Schmerzen, unsere Not, unsere Schuld, unser Schweigen in sich birgt.
Mit dem Leben in Berührung kommen
Es geht beim Beten oder Meditieren des Kreuzweges Jesu keinesfalls um eine Verherrlichung des Leides oder Leidens, sondern vielmehr geht es um ein Sich-gestärkt-Wissen im Leiden. Es geht um den Weg durch das Leiden hindurch und um die Hoffnung, dass menschliches Leiden überwunden werden kann.
Wir wollen dabei mit unserem Leben in Berührung kommen, auch mit den „schwierigen“ und dunklen Seiten in unserem Leben. Wir neigen ja bisweilen dazu, diese Dimensionen unseres Lebens eher auszuklammern, zu verdrängen, nicht wahrhaben zu wollen.
In der Folge geht es natürlich auch um die innere Berührung mit dem, was uns trägt und hält, was uns stärkt und was uns Hoffnung gibt.
Innehalten:
Kenne ich solche Situationen, wo ich das Gefühl habe, dass ich „ganz unten“ bin und dass es „tiefer nicht mehr geht“?
Ist da noch irgendetwas Heiles in mir?
Was lässt mich dann doch wieder aufstehen?
Als zentrale Botschaft des Karfreitags bleibt: als Christen und Christinnen sind wir dazu aufgerufen und berufen, das sichtbare und erfahrbare Mitfühlen und Mitleiden Gottes auf Erden zu sein („Compassion“).